03.07.2014

Anstoß 27/2014

Früher war alles besser

Die Kirchen werden immer leerer und die meisten Erstkommunionkinder verschwinden spätestens nach dem „Auftritt“ beim Fronleichnamsgottesdienst. Früher waren mehr Jugendliche bei der Jugendwallfahrt, und überhaupt lässt sich die Jugend nur noch sehen, wenn es was zu feiern gibt.

Das haben nicht die anderen gesagt, die Alten, die immer unzufrieden sind und glauben, dass früher alles besser war. Das habe ich gesagt und es brauchte die Begegnung mit einem jungen Priesterkandidaten, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass ich auf dem besten Weg bin, mich in einen Miesmacher zu verwandeln, der nur noch schwarzsieht. Vielleicht hat es mit der Arbeit zu tun, vielleicht aber auch mit unserer Zeit, in der alles gezählt, verglichen und bewertet wird.
Dazu fallen mir zwei Erlebnisse ein. Vor einiger Zeit saß ich in der Sauna mit ein paar alten Männern, die sich über Kellerdiebstähle in ihrem Wohnblock unterhielten. Jugendliche Banden ziehen von einem Keller in den nächsten und nehmen mit, was nicht niet- und nagelfest ist. „Früher hat es so etwas nicht gegeben.“ Als sich die Saunafreunde darüber einig wurden, dass man solche Jugendlichen ganz anders behandeln müsste und dass das „früher ganz schnell gegangen wäre“, habe ich mir eine andere Sauna gesucht. Aber einen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen. Ich schlug ihnen vor, die Eltern gleich mit zu bestrafen, denn irgendwo müssen es die jungen Leute ja her haben. Natürlich sind Eltern nicht an allem schuld, aber in diesem Augenblick war mir das egal. Es war der Pessimismus der alten Männer, in den man so leicht abrutscht und aus dem man so schwer wieder heraus kommt, der mich geärgert hat.
Das andere Erlebnis hatte ich auf dem Katholikentag in Regensburg. Auf dem Weg zu einer Veranstaltung fiel mir ein Spielzeugladen auf. Die Scheibe war eingeschlagen und mit Klebeband notdürftig geflickt. Auf einem Zettel in der Mitte stand: „Da sehen Sie mal, wie die Leut scharf sind auf unser Spielzeug. Aber mal ehrlich, es wäre uns schon viel lieber, wenn man bei der Türe reingeht und das tagsüber.“ Die Besitzerin war sicher nicht begeistert über die kaputte Scheibe, aber sie hat auf die leichte Schulter genommen, was nicht zu ändern ist.
Beide Erfahrungen zeigen, wie unterschiedlich Menschen mit dem Leben umgehen. Die Frau aus dem Spielzeugladen hätte allen Grund, sich in eine Sauna zu setzen, um über die böse Welt zu klagen und härtere Strafen für diese Menschen zu fordern, die sich am Eigentum anderer zu schaffen machen. Aber sie entscheidet sich, darüber zu lachen. Und ich hatte den Eindruck, ihr ging es besser damit als den Saunafreunden in Cottbus.
Manchmal braucht man nicht in die Kirche zu gehen, um eine gute Predigt zu hören. Es reicht, mit offenen Augen unterwegs zu sein. Die Ladenbesitzerin ist ein Vorbild für uns Christen. Weil wir bei Gott gut aufgehoben sind, können auch wir das Leben auf die leichte Schulter nehmen. Das will ich mir von niemandem und nichts nicht nehmen lassen. Und wer es biblisch will, dem empfehle ich das Matthäusevangelium (Mt 6,24-34).
Von Pfarrer Marko Dutzschke, Cottbus

Kommentare

<p>Ja, früher war alles anders. Die Menschen waren mehr in Gemeinschaften organisiert. Kirche, Verein, Partei (ich komme aus dem "Westen", verstehe diesen Begriff also anders). Ich selbst bin, auch, in solchen Korporationen sozialisiert. Und nach wie vor Mitglied. Ich sehe nicht nur, dass die Kirche leerer wird, ich sehe auch, dass es immer weniger Vereinsmitglieder gibt. Vor allem aktive. Dass es immer weniger Parteimitglieder gibt. Vor allem aktive. Ja, ich denke, dass es etwas mit einer Individualisierung des Einelnen zu tun hat. Mit seinem Streben nach, möglichst sofortigem, Ertrag einer Mitgliedschaft. Das Leben wird nicht mehr als Prozess begriffen. Man selbst begreift sich nicht mehr als Teil dieses Prozesses. Viele, die etwas tun, tun dies mit dem selbstverständlichen Anspruch, dass dies dann auch umgesetzt wird. Die Demonstranten von Stuttgart 21 lassen grüßen, was medienwirksam über die Nachrichten ging; die Volksabstimmung ist dann umgekehr ausgegangen. Anschließend meinten diese Demonstranten, frustriert sein zu müssen. Immerhin war man ja auf die Straße gegangen, hatte Aufmerksamkeit erregt. Was man nicht zur Kenntnis genommen hatte, war, dass man stets in einer Minderheit war. Die Mehrheit war eben zu Hause geblieben, und dann erst an die Wahlurne gegangen, immerhin. Nein früher war nicht alles anders. Es gab auch Kriminalität, im Großen und im Kleinen. Einen Spitzenwert gabe es übrigens in den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Also in einer Zeit, in der angeblich Zucht und Ordnung herrschte. Auch aus diesem Grund sollten wir uns diese Zeit, und ihre Zustände nicht zurückwünschen. Kirche, und Vereine, und Parteien sollten sich nicht beirren lassen. Sie müssen weiterhin Angebote machen. Da sein. Ansprechbar sein. Eine geöffnete Tür haben. Tatsächlich und im übertragenen Sinne. Dann erfüllen sie ihre Aufgabe. Dann sind sie sozial.</p> <p>Dieter Hurth, Dresden</p>