30.06.2012
Anstoss 24/2012
Zu Gast bei …? Die EM und die Menschenrechte
Nun regiert der Fußball wieder. Zwar nicht die Welt, aber doch einen recht privilegierten Teil davon: Europa. Und das scheint mir gut so.
Die Europameisterschaft 2012 wird Millionen von Menschen auf dem Kontinent zusammenführen und sicherlich ihren Teil zum Zusammenwachsen Europas und der Menschen in den europäischen Ländern leisten.
Ein wichtiges, wenn nicht das zentrale Element des Fußballs wie des Sports ist dabei das „Fairplay“, das Einhalten der sportlichen Spielregeln und eines ungeschriebenen Verhaltenskodex, der beinahe wichtiger als der Sieg selbst ist. Wenn diese Regeln nicht beachtet werden, wird Fußball nicht nur moralisch fragwürdig, sondern auch uninteressant. Die Zuschauer wollen sich mit den Spielern identifizieren. Sie wollen ehrliche Arbeit sehen und nicht eine Mannschaft, die um jeden Preis siegt. Dafür sorgt in der Regel ein Schiedsrichter. Nun geht es bei der Europameisterschaft „nur“ um Fairness auf dem Rasen. Es handelt sich nur um einen Sport, ein Spiel, auch wenn das Ganze ein Millionengeschäft ist.
Demgegenüber steht die unbarmherzige, die „echte“ Moral der ukrainischen Regierung, einem der Austragungsländer der EM, der anscheinend alle Mittel recht sind, um ihr eigenes Spiel durchziehen und gewinnen zu können. Dem ukrainischen Regime werden schwerste Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen: allein im Jahr 2011 wurden Erhebungen der Vereinigung ukrainischer Menschenrechtler zur Beobachtung von Rechtsverletzungen rund 900 000 Menschen Opfer von Folter und Gewalt durch Angehörige der Miliz, wie die Polizei im Land bezeichnet wird. Die methodische Bandbreite reicht dabei von Schlägen und Tritten bis hin zur Folter mit Stromstößen – Todesfälle werden in Kauf genommen.
Es stellt sich die Frage, wer in diesem grausamen Spiel als Schiedsrichter Einhalt gebieten bzw. Veränderungen bewirken kann. Einige Staaten bleiben der Fußball EM offiziell fern, was sicherlich Signalwirkung hat. Unverständlich ist es für mich, wenn ein Fußballspieler wie Philipp Lahm, der sich aus prominenter Position kritisch zur menschenrechtlichen Situation in der Ukraine äußert, von einem hohen Fußballfunktionär einen Maulkorb verpasst bekommt. Noch bedauerlicher erscheint es mir aber, dass es bisher kaum Stellungnahmen der katholischen Kirche gibt. Sicherlich kann die EM ein Ort der Neumissionierung sein, wie von der katholischen Kirche in Polen angedacht und sicherlich ist es auch richtig, dass Fußball als Mannschaftssport eine wertevermittelnde Rolle für eine Gesellschaft einnehmen kann. Dennoch wird es dringend Zeit, dass Kirche - zumindest zur Halbzeit der Fußball EM - deutlich auf die massiven Regelverstöße in der Ukraine aufmerksam macht und sich somit für die Gottebenbildlichkeit und Würde aller Menschen einsetzt.
Pater Bernhard Kohl, Studentenseelsorger in Berlin