01.11.2011
Anstoss 41/2011
Was man von Piraten lernen kann
Bei der jüngsten Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus erreichte eine Partei einen durchschlagenden Erfolg: Die Piratenpartei.
Neben ihrem Ergebnis bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus mit knapp neun Prozent der Wählerstimmen sticht eine Partei vor allem durch ihren Namen ins Auge: Piraten. Der Pirat als politische Option. Immerhin sieht sich fast jeder zehnte Bürger der Stadt Berlin in dieser Option mit seinen Interessen vertreten.
Schaut man einmal auf die sprachliche Herkunft des Wortes Pirat, dann wird man feststellen, dass dessen Bedeutung unterschiedlich ausfällt. Der griechische Begriff peiratés bezeichnet ganz allgemein einen Angreifer, wohingegen das lateinische Wort pirata konkreter den Meeresräuber meint. Der Name allein ist also schon Stachel genug. Erst recht in einer Kirchenzeitung. Was könnte die politische Option des Piraten mit der Kirche zu tun haben?
Erstens: Wer?
Der Name „Piratenpartei“ ist sehr ehrlich. Wir schaffen uns normalerweise in blumigen Worten schöne Verpackungen für die Dinge, die wir eigentlich meinen. Das Wort Pirat macht keine schönen Versprechungen, sondern wirkt direkt und ehrlich – vielleicht sogar ein wenig drastisch. Auch in der Kirche haben wir viele blumige Worte, Titel und Namen, die nicht immer das einlösen, was sie versprechen. Wie wäre es, wenn wir mehr Ehrlichkeit in unsere Worte, Namen und Titel legen würden?
Zweitens: Wie?
Für uns läuft meistens alles in geordneten, normalen Bahnen, täglich im gleichen Trott. Die Piraten bieten einen Perspektivenwechsel an, sie bieten an, dass das Normale ungewöhnlich werden kann. Sie fordern dazu auf empfänglich zu sein für das Ungewöhnliche und Neue. Wenn ich es aber schaffe, für das manchmal vielleicht chaotisch Andere und Neue empfänglich zu werden, dann habe ich meine Angst besiegt. Angst ist der schlimmste Gegner unserer Versuche etwas Neues, Ungewöhnliches und Lebendiges zu wagen.
Drittens. Was?
Die Piraten wollen etablierte politische Strukturen, Denk- und Verfahrensweisen vom Thron stoßen. Das kann dem Namen gemäß auch sehr entschieden, beinahe überfallartig geschehen. Normalerweise müssten Katholiken nun wohl die Notbremse ziehen. So geht das eben nicht. Halt! Stopp! Vielleicht liegt hier aber auch nur ein Missverständnis vor. Könnte man „vom Thron stoßen“ nicht auch mit Umkehr, Bekehrung, Metanoia übersetzen?
Ehrlichkeit, Perspektivenwechsel und Entschiedenheit kennzeichnen also das Leben eines Piraten. Ein gefährliches Unterfangen, aber als Christ muss man wohl gefährlich leben.
Pater Bernhard Kohl, Dominikanerkloster St. Albert, Leipzig