12.05.2023

Für andere zu bitten, gehört zum Grundbestand des Christseins

Kraft gegen die Not

Ihre große Stunde in der heiligen Messe ist unmittelbar vor der Gabenbereitung: Die Fürbitten sind das Gebet der Glaubenden für andere Menschen und 
können unzählige Anliegen betreffen. Wofür soll das gut sein?

Foto: kna/Harald Oppitz
An einer Fürbittenwand haben Kirchenbesucherinnen und -besucher ihre Anliegen und Gebete hinterlassen.
Foto: kna/Harald Oppitz

Von Michael Maldacker

„Lieber Gott, meine Mutter ist schon so lange in Deinem Reich und ich vermisse sie sehr. Heute hätte sie ihren Geburtstag – ich bitte Dich, beschütze sie und bring ihr Blumen von mir.“ Diese Bitte steht in einem Fürbittbuch, wie es häufig in Kirchen zu finden ist. Menschen bringen ihre Bitten vor Gott und suchen damit auch die betende Unterstützung durch die Kirchengemeinde oder eine Ordensgemeinschaft.

Das Gebet des scheidenden Jesus im Johannesevangelium gilt als Ausgangspunkt unserer Fürbitten heute. Darin heißt es: „Für sie bitte ich; nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast; denn sie gehören dir.“ Nicht die persönlichen Anliegen des oder der einzelnen Betenden, sondern die weltweiten Anliegen der Gesamtkirche und der ganzen Menschheit sollen in der heiligen Messe vor Gott gebracht werden, besagt die Konstitution Sacrosanctum Concilium, die Vorgaben für die Liturgie, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil 1963 beschlossen hat. „Damit sollte ein in der Antike übliches und in der römischen Messe über Jahrhunderte verloren gegangenes Element in neuer und zeitgemäßer Form wiedereingerichtet werden“, kommentiert der Münsteraner Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard den Schwenk des Konzils. Fürbitten sollen gebetet werden für „die Anliegen der Kirche, die Regierenden, das Heil der ganzen Welt, die von jedweder Schwierigkeit Bedrückten, die örtliche Gemeinschaft“, zitiert er die Allgemeine Einführung in das Messbuch.

Ordensleute beten täglich für andere

Gottesdienstfeiernde beten die Fürbitten jeden Sonntag in ihren Kirchen. Viele Ordensgemeinschaften beten Fürbitten für andere jeden Tag, und dies sogar mehrmals. Dazu gehören auch die Klarissenschwestern in Senden in Westfalen und die Crescentiaschwestern in Kaufbeuren im Allgäu. Weil viele Menschen wissen, dass Ordensleute täglich für andere beten, wenden sie sich mit ihren Anliegen direkt an die Gemeinschaften. So erhalten die beiden Schwesternkonvente täglich Bitten aus der Bevölkerung.

„Die Anliegen sind sehr verschieden“, sagt Schwester Daniela Martin aus Kaufbeuren im Bistum Augsburg, „oft kommen Menschen mit Depressionen, Krebsdiagnosen, nach Unfällen von Angehörigen oder Suchtproblemen zu uns an die Klosterpforte und bitten um unser Gebet. In Schwangerschaften suchen die Eltern ein unterstützendes Gebet um ein gesundes Kind, in Ferienzeiten um gute Erholung und sichere Fahrt, in Prüfungszeiten um gute Ergebnisse, bei Rechtsstreitigkeiten um Einigung“, erklärt die Theologin und Sozialpädagogin. „Es ist alles dabei, was das menschliche Leben ausmacht.“

Die Klarissen in Senden erhalten Gebetsbitten auf unterschiedlichen Wegen. „Die meisten Gebetsanliegen erreichen uns immer noch per Brief, einige aber auch über das Internet“, sagt Äbtissin Pia Olandt. Für die eigenen Fürbitten, die den 13 Schwestern der klausurierten Gemeinschaft ein besonderes Anliegen sind, greifen sie stets auch auf das Tagesgeschehen zurück, das sie aus den internationalen Nachrichten erfahren. „Wir beten immer auch für die Betroffenen von Kriegen und Naturkatastrophen“, sagt sie.

Von Krieg bis Klimawandel

„Viele Menschen bitten uns um das Gebet für kranke oder hilfsbedürftige Angehörige, für verstorbene Menschen oder auch für die großen ungelösten Fragen unserer Zeit“, sagt Pater Martin Stark, Kirchenrektor der Jesuitenkirche Sankt Michael in München. Dazu zählen für ihn Armut, Klimawandel, der Krieg in Osteuropa „und die weltweite Ungerechtigkeit“.

Einen großen Fundus formulierter Fürbitten bietet das Deutsche Liturgische Institut in Trier. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz stellt es regelmäßig Gebetsanliegen für die Sonn- und Festtage ins Internet. „Die sind richtig gut gemacht“, sagt Liturgiewissenschaftler Leonhard über die Arbeit in Trier. Doch er schränkt sein Lob gleich ein: „Sie geben mir das Gefühl, dass Fürbitten ein Spiegel der obersten Schlagzeilen der Medien sind.“
 
Der Liturgiewissenschaftler wünscht sich vielmehr Fürbitten auch für diejenigen, die aus den Schlagzeilen verschwunden sind, wie etwa die Kriegsopfer im Jemen und in Äthiopien, die weiterhin ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer oder das Volk der Uiguren, das in China unter Repressionen leidet.

Fürbitten sind vor allem Dienst der Betenden am Nächsten. Darin sind sich die drei Ordensleute einig. „Wir verstehen das Gebet als unsere Aufgabe, stellvertretend für alle, die es nicht oder nicht mehr können. Gebete sind unsere Berufung als Klarissenschwestern“, erläutert Äbtissin Pia Olandt. „Es geht ja nicht darum, dass alles in Erfüllung geht, was wir beten. Aber wir dürfen vertrauen, dass wir Jesus alles ans Herz legen dürfen und dass er uns etwas zurückgibt“, sagt Schwester Daniela Martin. „Die Menschen, die sich an uns wenden, wissen: ‚Jetzt bin ich mit meiner Not nicht mehr allein.‘ Das gibt ihnen Kraft.“

Und wenn der Glaube Kraft gibt, dass Gott der verstorbenen Mutter an ihrem Geburtstag Blumen bringt, dann hat die Fürbitte doch etwas Wichtiges erreicht.