11.06.2015
Anstoß 24/2015
Willkommenskultur auf Roncallisch
„Natürlich bekommen ausländische Familien und Flüchtlinge Freikarten zur Premiere. Sagen sie mir einfach, wie viel Karten sie brauchen“. So locker klingt es, wenn Pascal Raviol von einem der besten Zirkusunternehmen der Welt entspannt im Magdeburger Roncalli-Haus sitzt.
Gesagt, getan und schon legt er einen Stapel Freikarten für die Vorführungen auf den Tisch. Was dann zur Premiere und in den Vorstellungen abgeht, ist der Traum von Circus, der auf die Erde platzt.
Schon beim Hereinspazieren beginnt diese andere Welt. Auf einem Klavier wird stepgetanzt, ein furiose Kapelle swingt heißen Jazz, Clowns und Artisten kommen mit Bonbons, werfen Konfetti und schalten die hereinkommenden Alltagsmienen innerhalb der ersten Sekunden in den Lachmodus.Im großen Zelt angekommen ereignet sich ein furioses circensisches Feuerwerk, bei dem ich bis jetzt nicht weiß, wann ich Zeit zum Luftholen hatte.
Und nach der Show sprechen die Leute so, als ob sie mal kurz in einer anderen Welt gewesen sind.
Mittendrin auch eine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge. „Ich hab diese Jugendlichen das erste Mal in Deutschland lachen gesehen“, sagen deren Begleiter, die ahnen, wie hart der Weg der Jungen und Mädchen nach Deutschland war.
Im Zirkus sitzen alle unter einer Kuppel. Egal welches Alter, welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche Sprache. Und die Künstler machen ihren Job für alle gleich. Niemand wird bevorzugt, keiner ignoriert. Es gibt Momente, da bleibt der Mund offen stehen vor Staunen. Begeisterung brandet auf und alle klatschen, lachen, freuen sich.
Vor Gott, dem Gesetz und im Circus sind alle Menschen gleich. Und draußen auf der Straße? Da ist die fröhliche Gemeinsamkeit für viele vorbei. Die eben noch zusammen auf den gleichen harten Bänken gesessen haben, sind sich ihrer Unterschiede wieder bewusst und wissen, wo sie hingehören.
Als einige Zirkus-Leute in der runden Kapelle des Magdeburger Roncalli-Hauses sitzen, ist es wie in der Manege. In der Mitte steht der Altar. Brot und Wein werden dort geteilt. Auch der Gottesdienst führt uns in eine andere Welt. Obwohl, es ist keine andere Welt, es ist das Sehen der Welt mit anderen Augen. Und auch hier sind alle eingeladen.
Zirkus und Kirche haben eine Menge gemeinsam, und manches kann Kirche dabei noch lernen. Und wenn es nur das ist, sich nicht immer allzu ernst zu nehmen.
Von Guido Erbrich, Roncallihaus, Magdeburg