12.12.2015
Wenn das Smartphone zur Sucht wird
Rund 300.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland sind onlinesüchtig. Wenn sie ihr Smartphone oder Tablet mal aus der Hand legen müssen, reagieren viele gereizt. Manche fallen gar in Depression oder können kaum noch schlafen. Besonders an Wochenenden oder freien Feiertagen geraten immer mehr junge Menschen in einen virtuellen Rausch.
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Die Krankenkasse problematisiert nicht nur, sondern bietet Eltern und Betroffenen auch Rat (siehe Text unten). Foto: DAK-Gesundheit |
Wenn Sie wie ich „Eltern“ sind, kennen sie das wahrscheinlich: Sie rufen ihren Zögling, sei es Tochter oder Sohn, zum Essen an den Tisch und die Reaktion ist gleich null. Fast so als hätten sie in einen leeren Raum hineingesprochen. Irgendwann werden sie vielleicht deutlicher, erheben womöglich ihre ansonsten (natürlich) stets wohltemperierte Stimme, doch alles, was sie nun ernten, ist ein genervtes Kopfschütteln. Ganz so als seien Sie mit ihren Erinnerungen an banale Lebensnotwendigkeiten – wie etwa die Nahrungsaufnahme – das lästigste Wesen auf diesem Planeten. Ein Kollege erzählte mir neulich, dass er deswegen dazu übergegangen sei, seine Kinder per Whatsapp an das gemeinsame Mittagessen zu erinnern. „Das wirkt.“ Doch so lustig wie das Ganze vielleicht klingt, ist das Phänomen beileibe nicht. Eine repräsentative Studie der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK) ergab jetzt, dass jedes fünfte Kind in Deutschland internetsüchtig ist. Das heißt im Klartext, rund 300.000 Kinder haben ihr Onlineverhalten nicht mehr im Griff, und reagieren extrem gereizt, teils sogar mit manifesten Schlafstörungen, wenn Sie als Eltern versuchen, ihrem Kind die Onlinezeiten einzuschränken. Fast so wie ein Alkoholiker, dem man die Flasche verbietet …
Flucht vor Problemen
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Onlinesucht hat ähnliche Merkmale wie eine stoffliche |
Der Studie zufolge haben schon mindestens elf Prozent der zwölf- bis 17-Jährigen mehrfach erfolglos versucht, ihre Internetnutzung in den Griff zu bekommen. Zwölf Prozent der Eltern gaben an, dass ihr Kind das Internet – bei Jungs sind es meist Onlinespiele, bei Mädchen eher die Sozialen Netzwerke – nutzt, um Problemen zu entfliehen oder schlechte Stimmungen wie Angst oder Niedergeschlagenheit zu beenden. Und ebenfalls zwölf Prozent der Eltern hatten den Eindruck, dass ihr Kind permanent die Dosis steigern, sprich immer länger „on“ sein muss, um überhaupt noch so etwas wie Zufriedenheit zu empfinden. Das alles sind die klassischen Merkmale von Sucht, wie wir sie auch von Drogenabhängigen, Alkoholikern, Spiel- oder Sexsüchtigen kennen, ist sich Rainer Thomasius sicher. Und der Mann muss wissen, wovon er da spricht. Thomasius ist Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen an der Hamburger Uniklinik Eppendorf, die jetzt auch an der Erstellung der DAK-Studie beteiligt war. „Die Betroffenen verausgaben über eine längere Zeitspanne den größten Teil des Tageszeitbudgets“, an Onlineaktivitäten oder Computerspiele, so Thomasius. Und zwar auch dann, wenn sie sich eigentlich mit etwas anderem beschäftigen möchten oder müssten. Zum Beispiel Hausaufgaben. Oft ist ein mitunter dramatischer Abfall der schulischen Leistungen die Folge. Andere Kids wiederum geben für das Internet ihre Hobbys und Sport auf. Vor allem von Onlinespielen wie „World of Warcraft“ oder „League of Legends“ gehe eine enorme Suchtgefahr aus.
Damit jeder leicht versteht, dass Internetsucht kein neuer Modebegriff ist, hat die DAK gleich ein ganzes Dossier zum Thema ins Netz gestellt.
Onlinespiele besonders gefährlich
Der Studie zufolge sind wir Eltern an der „Suchtkarriere“ unserer Kids, die im Durchschnitt an einem Werktag mindestens zwei und am Wochenende sogar vier Stunden online sind, oft nicht ganz unschuldig. So haben die DAK-Forscher herausgefunden, dass es in vielen Familien kaum oder keine Regeln für die Internetnutzung von Kinder gibt, die sich meist ab einem Alter von zwölf Jahren vollkommen selbstständig und meist auch unbeaufsichtigt im virtuellen Raum bewegen. 51 Prozent der immerhin 1000 befragten Eltern trafen keine Vereinbarungen zur zeitlichen Dauer der Internetnutzung. Und bei 32 Prozent der Familien gab es keine Vorgaben, welche Inhalte die Kinder im Internet nutzen dürfen.
Tipps für Eltern: Kein Internet für Achtjährige!
Damit das Geschehen nicht weiter aus dem Ruder läuft, hat die DAK eine ganze Reihe von Tipps entwickelt, wie betroffene Eltern dem Verhalten ihrer Kinder zumindest etwas entgegensteuern können. So empfehlen Experten, dass Kinder vor dem achten Lebensjahr überhaupt keinen Zugang zum Internet haben sollten. Vor dem zwölften Lebensjahr sollte kein eigener Computer im Kinderzimmer aufgestellt werden. Und danach müssten Eltern mit ihren Kindern klare Regeln zur Internetnutzung verabreden, sich aber zugleich interessiert an den Onlineaktivitäten zeigen, erklärte Thomasius. Wer sich ausführlicher mit dem Thema beschäftigen möchte, sollte sich am besten gleich die gesamte Broschüre kostenlos besorgen. Für die betroffenen Kinder und Jugendlichen hat die DAK zudem einen Fragebogen bzw. Selbsttest ins Netz gestellt. Machen, empfiehlt
Ihr Webreporter Andreas Kaiser