21.01.2016

Anstoß 04/2016

Recht haben reicht nicht

Auch wenn die Berliner Justiz mit dem markigen Spruch „Rechthaber gesucht“ auf der Suche nach neuen Mitarbeitern ist, bleibt der Rechthaber für mich ein Mensch, dem ich lieber aus dem Weg gehe.

Rechthaber haben es nicht leicht. Sie wissen alles besser, sind unbelehrbar und machen keine Kompromisse. Es gibt keinen Grund, von ihrer Meinung abzuweichen, schließlich haben sie ja recht. Argumente? Zählen für den ewigen Rechthaber ohnehin nicht. Außerdem vertragen sich Argumente anderer nicht mit ihrem Geltungsbedürfnis, dass in einer Tour „Ich, ich, ich!“ zu brüllen scheint.
Auch der amerikanische Kardinal Raymond Burke wäre sicher ein guter Kandidat für die Berliner Justiz. Er warf dem deutschen Kardinal Reinhard Marx vor, dass er die katholische Morallehre aufweiche. Denn der hatte im Vorfeld der Familiensynode die Frage gestellt, ob sexuelle Handlungen unabhängig vom konkreten Lebenskontext beurteilt werden könnten. Natürlich können wir das. Ob etwas richtig oder falsch ist, hängt schließlich nicht davon ab, wie es einem Menschen geht oder in welchen Verhältnissen er lebt. Rechthaber haben es nicht leicht. Ich kann mir vorstellen, dass es auch Kardinal Burke nicht leicht hat, obwohl er ohne Zweifel recht hat. Und ich bin sicher, das weiß auch Kardinal Marx. Leider reicht es manchmal nicht, recht zu haben, um das Richtige zu tun. Denn wer nur recht haben will, wird dem Menschen nicht gerecht und was noch schlimmer ist, er wird dem Gott Jesu Christi nicht gerecht. Denn dieser Gott begegnet dem Menschen immer wieder damit, dass er Gnade vor Recht ergehen lässt und barmherzig ist.
Das gefällt dem Rechthaber nicht, weil es die Dinge verkompliziert. Aber ich bin überzeugt, dass ist der Weg, auf den uns Jesus ruft. Im Johannes-Evangelium ist von einer Ehebrecherin die Rede. Dem Recht nach gehört die Frau gesteinigt. Was sie getan hat, ist und bleibt falsch. Das sieht auch Jesus Christus so. Trotzdem entscheidet er sich, Gnade vor Recht ergehen zu lassen und die Frau nicht zu verurteilen.
Jesus sieht den konkreten Lebenskontext und will der Frau helfen, ihren Weg mit Gott zu gehen. Diesen Weg Jesu mitzugehen, ist nicht einfach, weil er von uns verlangt, zu wissen, was Recht ist und zu entscheiden, wann und wie wir Gnade vor Recht ergehen lassen. Es verlangt, den Menschen mit den Augen Gottes sehen zu lernen, der das Leben will und nicht den Tod des Sünders. (Ezechiel 33)
Deshalb gehört zum Glauben, was man Herzensbildung nennen kann. Sehen lernen, was ein Mensch zum Leben braucht. Das gilt besonders am Beginn des Jahres der Barmherzigkeit, in dem es darauf ankommt, wie Papst Franziskus sagt, „die Barmherzigkeit Gottes, das pulsierende Herz des Evangeliums, zu verkünden“.

Pfarrer Marko Dutzschke, Cottbus