07.06.2012

Anstoss 23/2012

Hohepriesterlich beten

Wenn wir von und mit Jesus sprechen, haben wir uns an bestimmte Anreden gewöhnt. Manche sind uns näher, andere benutzen wir nicht so gern.

Die einen sprechen von ihm als dem Heiland und Retter, für andere ist Jesus schlicht und einfach der Herr. Wieder andere nennen Jesus ganz vertraut ihren Bruder und Freund. Kaum jemand wird aber auf die Idee kommen, Jesus Christus seinen Hohepriester zu nennen. Und doch taucht diese Anrede mehrfach im Neuen Testament auf. Das Abschiedsgebet Jesu wird in der Lutherübersetzung Hohepriesterliches Gebet genannt (Joh 17,1-26).

Viele Religionen kennen einen Hohepriester als Bezeichnung für das höchste priesterliche Amt. In Israel wurde dieses Amt lange auf Lebenszeit verliehen, bis die Römer den Hohepriester benannten und auch absetzten. Der Hohepriester hatte die Aufgabe, für den Tempelkult zu sorgen. Nur er durfte einmal im Jahr am Versöhnungstag das Allerheiligste betreten, um stellvertretend für das ganze Volk die Vergebung Gottes zu empfangen. Für die Israeliten war der Hohepriester so etwas wie der oberste Vermittler zwischen Gott und Menschen.

Auf diesem Hintergrund ist es leicht zu verstehen, warum die junge Kirche in Jesus Christus den eigentlichen Hohepriester – den Mittler zwischen Gott und Menschen – erkannt hat: „Da wir nun einen erhabenen Hohepriester haben, der die Himmel durchschritten hat“ (Hebr 4,14). Seine Bitte an den Vater ist tatsächlich Hohepriesterliches Gebet: „Für sie bitte ich, nicht für die Welt bitte ich, sondern für alle, die du mir gegeben hast“ (Joh 17,9).

Machen wir einen Sprung und überlegen, welche Bedeutung Priester heute für die Menschen haben. Viele Gläubige würden diese Bedeutung wahrscheinlich von den Aufgaben her beschreiben, in denen sie ihre Priester erleben. Danach sind sie Sakramentenspender, Gottesdienstleiter, Religionslehrer, Repräsentanten und Pfarrverwalter. Ich fürchte, als Beter für die Menschen wird der Priester kaum wahrgenommen. Die Gläubigen erleben ihre Priester selten beim Gebet und außerdem gilt das Gebet vielen als Privatsache. Dabei verspricht jeder Priester bei der Weihe, das Stundengebet als stellvertretendes und fürbittendes Gebet für die ganze Gemeinde zu halten.

Damit soll der Priester nicht ersetzen, was allen Christen aufgetragen ist. Genau wie der Hohepriester nicht ersetzt, was alle Israeliten tun sollen. Aber er soll ein Beispiel geben für die ganze Gemeinde. Der Glaube lebt vom Gebet als Eintreten für die Menschen. Mit dem Blick auf das Hohepriesterliche Gebet Jesu erscheint das Eintreten vor Gott als der wichtigste Dienst, der Christen aufgetragen ist. Dem Gebet entspringt alles andere. Wie Mutter Teresa einmal gesagt hat: „Die Frucht der Stille ist das Gebet. Die Frucht des Gebetes ist der Glaube. Die Frucht des Glaubens ist die Liebe. Die Frucht der Liebe ist das Dienen. Die Frucht des Dienens ist der Friede.“

Kaplan Marko Dutzschke, Cottbus