10.05.2012
Anstoss 19/2012
Himmel und Erde
In der vergangenen Woche durfte ich am Provinzkapitel unserer dominikanischen Ordensprovinz Teutonia teilnehmen.
Ein Provinzkapitel ist das höchste Entscheidungsgremium einer solchen Provinz, d. h. einer regionalen Verwaltungseinheit des weltweiten Ordens. Dazu kommen alle vier Jahre die Oberen der einzelnen Klöster und weitere, von allen Brüdern demokratisch gewählte Delegierte zusammen. Eine der wichtigsten Entscheidungen eines solchen Provinzkapitels ist die Wahl eines neuen Provinzoberen, des Provinzials, der einer Provinz dann für vier Jahre vorstehen wird.
Eröffnet wird ein Kapitel mit einer Messe zum Heiligen Geist und der Heilige Geist ist auch die göttliche Person, um die es sich in der Liturgie und den Gebeten während des gesamten Kapitels dreht. Dabei kann man sich schon fragen, wo er denn während der Sitzungen, in den Planungsgesprächen, Kommissionen und bei den Wahlen eines Kapitels vorkommen kann. Wo bleibt während dieser Verwaltungsaufgaben Raum für das Wirken des Heiligen Geistes, wo kann der Heilige Geist hier berühren, eine Verbindung zwischen Himmel und Erde herstellen? Auf unserem Kapitel nahm er unerwartet Raum: Wir waren mitten drin in Überlegungen, Papieren und Zahlen. Die Emotionen waren etwas angespannt und wir hatten uns wohl festgefahren. Auf einmal hatte ein Mitbruder eine Idee, die er dann präsentierte. Und plötzlich war alles wie gewandelt: Durch seinen Vorschlag konnten viele Probleme auf einmal gelöst und alle Mitbrüder „an Bord“ geholt werden. Die Stimmung löste sich merklich, wurde sehr zuversichtlich und trug sich dann auch so bis zum Ende des Kapitels durch. Für mich war ziemlich klar: Hier hat mitten im Papier- und Planungswust der Heilige Geist seinen Raum eingenommen.
So verhält es sich ja nicht nur auf Provinzkapiteln des Dominikanerordens. Auch im Leben erwarten wir die Berührung zwischen Himmel und Erde eher in besonderen Dingen und Ereignissen: Beim Erreichen des Gipfels nach einer Bergwanderung. Bei der Betrachtung eines Sonnenuntergangs. In der Feier der Sakramente. Nicht aber im Gewusel des täglichen Einerlei, in der alltäglichen „Verwaltung“ unseres Lebens. Vielleicht ist das aber genau der Ort, an dem wir mit ein wenig Offenheit viel Raum für den Heiligen Geist geben können. Vielleicht braucht es nur wenig, damit sich Himmel und Erde berühren können.
Pater Bernhard Kohl, Dominikanerkloster St. Albert Leipzig