22.05.2015
Wie die Kirche groß werden konnte
Gute Netzwerker
Pfingsten gilt als das Geburtsfest der Christenheit. Damit verbindet sich auch die Frage, warum eine kleine jüdischen Sekte innerhalb von drei Jahrhunderten zur Staatsreligion im Römischen Reich werden konnte - und das ohne Waffen und trotz Verfolgung.
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Eine Pfingstmesse auf dem Petersplatz in Rom: Es war ein langer Weg von der kleinen jüdischen Sekte hin zur Weltreligion. Foto: kna-bild |
Darauf gibt es sehr unterschiedliche Antworten. Eine klingt äußerst modern: Für den in den USA lehrenden katholischen Neutestamentler Hans-Josef Klauck sind es vor allem die engen sozialen Netze der ersten Christen, die zur schnellen Ausbreitung beigetragen haben. So hätten die Paulusbriefe über private Kanäle verbreitet werden müssen, da die öffentliche Post den Militärs und Verwaltungsspitzen des römischen Reiches vorbehalten war. Dadurch sei eine Gruppenidentität auch über größere Räume hinweg entstanden.
Auch die Münsteraner Althistorikerin Eva Baumkamp meint, dass die frühen Christen gute Netzwerker waren und ein modern anmutendes Kommunikationssystem aufbauten. "Im Römischen Reich des dritten Jahrhunderts korrespondierten verfolgte Bischöfe von Karthago bis Kleinasien über ihre Religion und machtpolitische Fragen", analysiert sie. Viele Christen und Gemeinden konnten gleichzeitig daran teilhaben.
Positiv wirkte sich auch die vergleichsweise gute Infrastruktur des Römischen Reiches aus: Das Straßennetz ermöglichte das Reisen und Versenden von Post. Die neutestamentlichen Texte waren in Griechisch verfasst, das im ganzen östlichen Mittelmeerraum Verwaltungssprache war. Und spätestens durch die lateinischen Übersetzungen, der Handelssprache des Westens, konnten die Texte im ganzen Reich verstanden werden. "Unter dem Druck der Verfolgung durch die römischen Kaiser Decius (250-251) und Valerian (257-260) versuchten die Christen früh, ihre theologischen Probleme zu lösen", sagt Baumkamp. Das habe wie ein Motor gewirkt.
Christentum sprach viele Menschen in allen Schichten an
Die Briefe erfüllten nach Erkenntnissen der Forscherin zudem machtpolitische Zwecke. Viele ins Exil geflohene Bischöfe hätten ihren Gemeinden weiter Handlungsanweisungen gegeben. Zugleich handelten die Kleriker per Briefverfahren Hierarchien aus. "Vor allem Bischöfe größerer Städte wie Rom, Karthago, Alexandria oder Lyon waren bald nicht mehr bloß Sprachrohr ihrer Einzelgemeinde, sondern beanspruchten, die gesamte Provinz zu vertreten", erläutert die Althistorikerin.
Manche Hollywood-Streifen begründen die dynamische Ausbreitung des Christentums damit, dass die ersten Christen Angehörige der Unterschicht waren, die sich gegen Unterdrückung auflehnten. Der Münchner evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf weist das allerdings zurück: "Das ist ein Erklärungsansatz, der vor allem bei der Arbeiterbewegung attraktiv war", sagt er. Das Christentum sei aber zugleich auch ein Oberschichten-Phänomen gewesen. "Es hat viele Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen angesprochen. Diese Vielseitigkeit ist sicher eines der Erfolgsgeheimnisse."
Nach Einschätzung von Graf greift ein ganzes Bündel von Erklärungen: Das Überwinden sozialer Schranken, Mildtätigkeit, Mitleid und die Hoffnung auf Auferstehung. Darüber hinaus bot das Christentum gegenüber den Vielgötter-Religionen im Römischen Reich einen Mehrwert: Man konnte sich auf einen Gott konzentrieren und zugleich sozial handeln. Die Christen sorgten für Alte und Kranke, kümmerten sich um würdige Bestattungen - und überzeugten damit.
Der Berliner Althistoriker Werner Dahlheim macht zwei grundsätzliche Entscheidungen als wegweisend aus: Die frühen Christen seien bewusst in die großen Städte gegangen - und nicht wie etwa die Essener in die Dörfer oder die Wüste. Ebenso wichtig war die Entscheidung, über das Judentum hinaus auch bei den Heiden zu missionieren. Der Glaube an die persönliche Auferstehung habe zudem zu einer Neubewertung des Lebens geführt: "Im Gegensatz zu der Überzeugung, die Welt und nicht der einzelne habe Bestand, verhieß die frohe Botschaft, die Welt sei dem Untergang geweiht und das Individuum sei unsterblich", schreibt Dahlheim. Der einzelne Mensch trat damit als eigenständige Größe auf. Und seine irdische Existenz wog wenig, da sie nur im Hinblick auf das jenseitige Heil von Bedeutung war.
Zur Sache: Pfingsten
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Die Taube ist das Symbol für den Heiligen Geist Foto: kna-bild |
Pfingsten ist für Christen das Fest des Heiligen Geistes und gilt als Geburtsfest der Kirche. Damit endet die 50-tägige Osterzeit. Das Wort Pfingsten leitet sich ab von "Pentekoste", dem griechischen Begriff für "fünfzig". Die Bibel versteht den Heiligen Geist als schöpferische Macht allen Lebens. Er ist nach kirchlicher Lehre in die Welt gesandt, um Person, Wort und Werk Jesu Christi lebendig zu erhalten.
Die Apostelgeschichte berichtet, wie die Jünger Jesu durch das Pfingstwunder "mit Heiligem Geist erfüllt wurden und begannen, mit anderen Zungen zu reden". Das sogenannte Sprachenwunder will darauf hinweisen, dass die Verkündigung der Botschaft von Jesus Christus sprachübergreifende Bedeutung für die ganze Welt hat.
Bis zum vierten Jahrhundert feierten die Christen an Pfingsten nicht nur den Abschluss der Osterzeit, sondern auch die in der Apostelgeschichte erwähnte Himmelfahrt Christi. Nachdem sich dafür ein weiterer Festtag herausgebildet hatte, wurde Pfingsten eigenständig. Ähnlich wie Weihnachten oder Ostern erhielt es in einigen Ländern einen zweiten Festtag, den Pfingstmontag.
Historisch gesehen ist das Pfingstfest auch ein Frühlingsfest. Bräuche, die mit Wachsen, Blühen und Wiedererwachen der Natur zu tun haben, tauchen vor dem herannahenden Sommer noch einmal auf. Flurumritte, Grenzabschreitungen und Prozessionen sollen der neuen Saat Segen bringen.
kna