28.06.2017

Online-Petition: Protest im Netz-Zeitalter

Fromme Wünsche für eine bessere Welt?

„Online-Petitionen boomen. Von Politikverdrossenheit keine Spur“ jubelte jüngst der Evangelische Pressedienst (epd). Doch wer sich das Tun auf Portalen wie change.org einmal näher anschaut, wird schnell merken dass der Grad zwischen Sinn und Unsinn solcher Petitionen ein sehr schmaler ist…

Neue Protestform (Screenshot campact.de)

Die (netzaffinen) Deutschen, so scheint es, haben ein neues Hobby entdeckt. Einer Agenturmeldung von epd zufolge, beteiligen sich immer mehr Menschen an Online-Petitionen. Allein beim Branchenprimus change.org haben sich im laufenden Jahr bereits rund 4,5 Millionen Deutsche per Mausklick engagiert. Pro Monat werden dort im Durchschnitt 600 bis 700 Petitionen gestartet. Nutzten beim Start der Plattform vor vier Jahren noch rund 60.000 Menschen den Dienst, waren es im Mai 2017 bereits 4,5 Millionen (weltweit sind es sogar rund 180 Millionen Menschen).

Auch wenn das Online-Portal erst jüngst bekannt gab, dass angeblich alle vier Tage eine auf change.org gestartete Kampagne „zum Erfolg“ führe, so darf dies geflissentlich bezweifelt werden. Wer auf dem Portal eine Petition startet, entscheidet am Ende auch selbst, ob und wann er die Kampagne als erfolgreich bewertet.

Als ob eine Unterschrift die Welt retten könnte….

Bereits 2014 notierte der Berliner Tagesspiegel vielsagend, Online-Petitionen seien zwar die neue Protestform im Netz-Zeitalter. Doch meist ende der „digitale Aktivismus nach dem Mausklick“. Ganz so, als ob schon eine simple Unterschrift die Welt schon retten könnte.

Tatsächlich, das zeigt eine simple Durchsicht laufender Kampagnen, sind die meisten Online-Petitionen nicht viel mehr als ein paar, meist subjektiv formulierte (fromme?) Wünsche für eine vermeintlich gerechtere Welt (Motto: "Wir ermöglichen Menschen weltweit, sich für die Welt einzusetzen, in der sie leben wollen“).So boomen derzeit bei fast allen Anbietern Forderungen nach einem Abschiebestopp rechtmäßig abgelehnter Asylbewerber. Nur einen Mausklick weiter versuchen andere Aktivisten, dem Rechtspopulisten Björn Höcke den Beamtenstatus zu entziehen. Wo früher Menschen in Fußgängerzonen noch umständlich Unterschriften sammelten, muss man jetzt bei openpetition.de, change.org oder campact.de nur ein paar Klicks machen, um eine Bürgerinitiative ins Leben zu rufen.

Nie war es so leicht wie heute eine Bürgerinitiative zu starten

Das ePetitions-Portal des Deutschen Bundestags (Bildschirmfoto der Webseite)

Trotz dieser leichten Verfügbarkeit, um nicht zu sagen fast schon Beliebigkeit der politischen Artikulation, machten einzelne Online-Petitionen in der Vergangenheit sogar Schlagzeilen. So unterzeichneten beispielsweise 2014 rund 235.000 Menschen die Unterschriftenaktion von Maren Müller „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr!“. Der TV-Moderator hatte die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht in einem Interview kaum zu Wort kommen lassen und immer wieder fast gehässig unterbrochen. Zu medialer Berichterstattung – etwa bei der Huffington Post - brachte es auch die Forderung, Alice Schwarzer möge bitteschön ihr Bundesverdienstkreuz niederlegen, nachdem sie einstmals Steuern hinterzogen habe. Da solche Forderungen fast nie erfüllt werden, philosophierte die Süddeutsche Zeitung bereits vor Jahr und Tag über Sinn und Unsinn von Online-Abstimmungen.

Eine durchweg seriöse Alternative zu den boomenden Portalen bietet übrigens seit geraumer Zeit der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags an. Seit 2005 kann dort jeder seine Bitten oder Beschwerden nämlich auch online an das Parlament richten. Diese Petitionen können höchstpersönliche Angelegenheiten betreffen, aber auch Forderungen von allgemeinpolitischer Bedeutung (z.B. Bitten zur Gesetzgebung) zum Inhalt haben.

Ihr Webreporter Andreas Kaiser