12.11.2015

Anstoß 46/2015

Eine freie Frau

Sowohl bei hohen PolitikerInnen als auch hohen Kirchenmännern wird es meist dann besonders spannend, wenn sie vom Redemanuskript abweichen.

Dagegen sind vorformulierte Reden oft deshalb so langweilig, weil man sich in alle Richtungen absichert, weil man nicht einseitig sein will, weil man gegen mögliche Einwände gewappnet sein will. Viele wichtige Kirchentexte sind für alle Zeiten, alle Kulturen und alle Menschen geschrieben und entsprechend allgemein. Wie wohltuend ist dagegen ein persönliches, ehrliches Wort!  
In diesem Sinn hat der Papst kürzlich einige Worte fallen lassen, die so bedenkenwert sind, dass ich sie hier noch einmal aufgreifen und kommentieren möchte. Ich fände es schade, wenn sie in der allgemeinen (Hof-)Berichterstattung untergehen würden.
ALSO: Der Papst hatte anlässlich des Jahrs der Orden junge Ordensleute empfangen. Als Beispiel für gelungenes Ordensleben nannte Franziskus die heilige Teresa von Avila. Diese Frau, deren 500. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wurde, ist eine der ganz Großen der (Kirchen-)geschichte. Sie hat in genialer Weise Aktion und Kontemplation verbunden und zählt als Mystikerin gemeinsam mit Ignatius von Loyola und Martin Luther zu den bedeutenden Kirchenreformern in der frühen Neuzeit.
Der Papst sagte von ihr, sie sei durch ganz Spanien gezogen und habe dort Klöster gegründet, ohne je die Fähigkeit zur Kontemplation zu verlieren....  Nun muss man dazu wissen, dass das für eine Frau, eine Klausurnonne im damaligen Spanien absolut verboten war. Teresa galt deswegen nicht wenigen Kirchenmännern als ungehorsame, widerspenstige und umherziehende Nonne, die besser zu Hause bliebe und das tun sollte, was fromme Frauen zu tun haben: beten. Alles weitere, besonders das Denken, sollten die Frauen den Männern überlassen.
Tatsächlich hatte Teresa mit der Inquisition zu tun und musste sich mehrfach rechtfertigen. Es ist der Gnade Gottes und ihrer großen Menschenkenntnis zu verdanken, dass ihr Haft und Ausgrenzung wie beispielsweise ihrem Freund und Seelengefährten Juan de la Cruz erspart geblieben sind. Und wie kommentiert der Papst das? Er sagt, Teresa sei eine „freie Frau“ gewesen, „so frei, dass sie vor die Inquisition musste“!
Damit räumt der Papst ein, dass die Inquisition sich im Fall Teresa irrte. Er erliegt nicht der Gefahr, die eigenen Fehler klein zu reden oder zu rechtfertigen. Das hat er nicht nötig, weil es ihm um den lebendigen heiligen Geist geht, der sich im Denken Teresas klarer findet als im Denken der Inquisition. So lobt er die Freiheit Teresas. Wie schön!

Sr. Susanne Schneider, Missionarinnen Christi, Kontaktstelle Orientierung