15.09.2016

Heiner Koch über sein erstes Jahr als Erzbischof von Berlin

Die Herde zusammenhalten

Berlin. Ein Jahr ist Heiner Koch nun schon Erzbischof von Berlin. Stand seine Amtseinführung noch im Schatten von Demonstrationen gegen den „Marsch für das Leben“, wird er in diesem Jahr selbst mit den Lebensschützern durch die Stadt ziehen. Er fühle sich schon in Berlin zuhause, sagte er am Rande des Interviews.

Erzbischof Heiner Koch bei der Familienwallfahrt. Foto: Cornelia Klaebe

Herr Erzbischof, wie viel Berliner steckt nach einem Jahr in Heiner Koch?

Ich erlebe Berlin als eine auch bevölkerungsmäßig sehr bunte Stadt. Die Urberliner sind nur eine der Bevölkerungsgruppen dieser Stadt. Was ich mit den meisten Berlinern teile, ist, dass ich mit meiner eigenen Geschichte und Identität hierher gekommen binund ein Teil dieses bunten Berlins bin. Ein Urberliner werde ich aber nie werden. Das Rheinland bleibt meine Heimat, aber zuhause bin ich weitgehend in Berlin.

Haben Sie in Ihrer Zeit in Berlin etwas neu gelernt?

Ich habe enorm viel gelernt. Ich lernte ein Land kennen – das Erzbistum Berlin ist ja in seiner Vielseitigkeit kaum zu übertreffen. Ich habe die Unterschiedlichkeit der Menschen kennengelernt, auch die der Geschichte, die sie mitbringen. Ich habe sehr viel auch im politischen Bereich gelernt – ich habe mit vier Regierungen zu tun, in Dresden war es überwiegend nur die sächsische Landesregierung. Ich habe hier auch neu und tief das Zusammenleben mit Katholiken gelernt, die nicht deutschsprachig sind. Mit über 20 Prozent des Bistums sind sie keine Nebengröße, sondern wesentliche Größen, die das Bistum prägen. Und ich habe viele Erfahrungen auf dem Gebiet der Ökumene gemacht.

Bei Ihrer Amtseinführung waren erhöhte Sicherheitsvorkehrungen nötig, weil aggressive Gegendemonstranten gegen den Marsch für das Leben befürchtet wurden. Wie ging es Ihnen damit?

Ich habe es nicht erlebt.

Aber Sie haben davon gewusst.

Ich habe das thematisiert, zum Beispiel mit Frau Kipping, weil sie da federführend war. Ich denke, dass die Sensibilität für Gewalt in diesem Jahr, in dem ich hier bin, gesellschaftlich und politisch gewachsen ist. Diese Zeit war geprägt von den Entwicklungen des Terrorismus und der Sorge, dass er auf uns übergreift, vom Thema der Gewalt in Religionen, und natürlich von der Diskussion um die AfD und den Rechtsradikalismus im Ganzen. Die hat auch dafür sensibler gemacht, dass man miteinander gewaltfrei umgehen soll.  

Wagen Sie doch einmal eine Zwischenbilanz zum Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“! Wo stehen wir? Wo werden Sie nachjustieren?

Wir stehen in der ersten Phase des Gesamtprozesses, der ein lebenslanger Prozess bleiben wird. Die Grundintention sind keine finanziellen und strukturellen Fragen. Die Grundintention ist erstens zu sehen, dass wir in einem gesellschaftlichen Raum Kirche sind. Diese 15 pastoralen Räume in unserem Erzbistum sind sehr unterschiedlich geprägt. Wir müssen uns fragen: Wie stärken wir in dieser Gesellschaft die Christen, ihren Glauben und ihr Zugehörigkeitsempfinden? Gerade auf dem Land, wo wir eine Minderheit sind, ist es notwendig, dass wir uns nicht fallen lassen. Es kann nicht sein, dass einer geht und keiner reagiert darauf.  Zweitens: Wie prägen wir die Gesellschaft um uns herum? Wie sind wir missionarisch? Der Dreh- und Angelpunkt ist, dass wir sagen: In diesem Raum sollen die verschiedenen Gemeinden, Einrichtungen und Gemeinschaften miteinander nach draußen gehen. Man wird daraus finanzielle und strukturelle Konsequenzen ziehen müssen – in jeder Region vielleicht andere.  

Ein Brennpunkt im Erzbistum ist die Frage nach der St.-Hedwigs-Kathedrale.

Ich habe die Dramatik gesehen und daher versucht, den Prozess bis zur Entscheidung transparent, mit viel Beteiligung und fundiert zu machen. Ich habe die Problematik immer thematisiert. Jedem, der mir dazu schreibt, antworte ich: Ich hoffe, dass der lebendige Tempel Gottes zusammenbleibt.

Wie wollen Sie die Herde zusammenhalten, wenn die Entscheidung gefallen ist?

Aller Einsatz Einzelner für die Kathedrale, wenn er mit der Drohung oder Wirklichkeit des Verlassens des Tempels verbunden ist, ist nicht glaubwürdig. Da ist die Rangfolge der Bedeutung eines solchen Gebäudes gegenüber der Bedeutung der lebendigen Kirche durcheinander geraten. Ich werde auch die, die sich mit ihrer Meinung nicht durchsetzen, bitten, sich auch weiterhin an den Überlegungen zu beteiligen.

Ein Thema, das Ihnen wichtig ist, ist die katholische Theologie in Berlin. Wie ist der Stand?

Wir sind in ganz engagierten Gesprächen unterschiedlichster Art. Ich halte nach wie vor den Zustand der katholischen Theologie in Berlin für absolut unbefriedigend. Um des intellektuellen Diskurses willen, zu dem die Theologie in solch einer profilierten Stadt wie Berlin gehört, auch um des interreligiösen Dialogs willen, gerade mit der islamischen Theologie, die der Senat neu aufbauen will, um eines qualifizierten Angebots willen für die, die Theologie hier studieren wollen, ist es unbefriedigend. Aber ich lasse da nicht locker.

Sie haben zur Wahl aufgerufen. Sie werden oft als „Hauptstadtbischof“ bezeichnet. Wie viel Politik steckt im Amt des Erzbischofs von Berlin?

Es geht mir sehr stark um die „Polis“, die Stadt, das Gemeinschaftswesen. Ich bin politisch engagiert. Ich würde die Kanzel nie missbrauchen als politischen Lehrort. Aber ich denke, dass ich wie andere auch meine Verantwortung trage, um die Katholiken zu vertreten. Ich denke, das ist auch gar nicht das Problem: Mir wird oft gesagt, die katholische Kirche müsste sich noch viel stärker einbringen.

Wie schaffen Sie es, bei Ihren vielen Terminen das Gespräch mit Gott aufrecht zu erhalten?

Ich bereite mich immer sehr intensiv auf meine Gottesdienste und Predigten vor. Ich habe die ganze Woche einen Zettel in der Tasche, auf den ich Einfälle für die Predigt notiere. Und ich feiere gern Gottesdienst! Ich lebe daraus und aus den Momenten der Stille. Die habe ich seit März in Lichterfelde im Garten meiner Wohnung. Dort atme ich auf und kann beten und nachdenken. Und mir bedeuten die kontemplativen Orte im Bistum viel.

Ihre Agenda für das zweite Jahr?

Alle die Punkte, die wir angesprochen haben, auch das Thema Caritas, Armut, Obdachlosigkeit. Besondere Sorge werde ich setzen auf die Priester- und Ordensberufe und die pastoralen Dienste. Ich bin froh, dass jetzt mehrere anfangen zu studieren und sich auf den Weg machen. Außerdem ist es mir wichtig, die Familien zu stärken. Auch das Reformationsgedenken ist ein Thema für 2017, auch mit eigenen Veranstaltungen.

Interview: Cornelia Klaebe