18.08.2017
Aufarbeitung der Christenverfolgung in der DDR
Bleibt Religion Opium fürs Volk?
Christenverfolgung in der DDR ist kein abgeschossenes Kapitel, sondern wirkt bis heute nach. Zwei Ilmenauer wollen deshalb eine öffentliche Aufarbeitung und fordern dabei besonders die Regierungsparteien in Thüringen heraus.
![]() |
Pfarrer Sammet (rechts) und Pedro Hertel (links) mit Roland Jahn, dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. | Foto: privat |
Gerhard Sammet und Pedro Hertel haben eine Hoffnung: Die Frage nach Gott, nach einem persönlichen Glauben, nach Taufe und Kirchenzugehörigkeit soll wieder zu einer möglichen Frage in der ostdeutschen Gesellschaft werden. Deshalb setzen sich die beiden Ilmenauer dafür ein, dass es zumindest erst einmal in Thüringen zu einer in aller Öffentlichkeit geführten Diskussion über die Christenfeindlichkeit in der DDR kommt und dass dabei die Links-Partei als SED-Nachfolgerin darlegt, wie sie zum christlichen Glauben steht.
Sammet und Hertel leben in Ilmenau. Der eine – Sammet – ist katholisch, der andere evangelisch. Sammet ist Priester und war viele Jahre Pfarrer von Ilmenau, lebt nun dort im Ruhestand. Hertel ist Mathematiker. Kennengelernt haben sich beide während der Friedlichen Revolution.
Die „Wissenschaftliche Weltanschauung“
Die Frage nach der Christenfeindlichkeit in der DDR und welche Folgen sie für das Leben der Menschen bis heute hat, beschäftigt die beiden intensiv. „Es ist ja nicht so, dass das ein abgeschlossenes Kapitel ist“, erklärt Gerhard Sammet. Die Christenfeindlichkeit der SED mit ihren ideologischen Schlagworten von der „wissenschaftlichen Weltanschauung“, vom „wissenschaftlichen Atheismus“, von der „Religion als Opium für das Volk“ wirkt ja bei den Menschen bis heute. Sammet: „Für die Menschen, die bisher nichts vom Glauben erfahren durften, sind das auch heute Totschlagargumente.“ Der Glaube an Gott als Lebensmöglichkeit kommt so gar nicht in den Blick. Und das wird von Generation zu Generation weitergegeben. „Es ist wie auf einer schiefen Ebene. Da ist einmal etwas ins Rollen gekommen und nicht zu stoppen“, sagt Gerhard Sammet. Pedro Hertel weist darauf hin, dass 1945 in der Region 95 Prozent der Menschen Christen waren. Heute sind es vielleicht noch zehn oder 20 Prozent. Das Thema hat sich 1989 mit dem Ende der DDR nicht erledigt.
Was also tun? Der Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Thüringer Landesregierung von 2014 bot den beiden einen Anküpfungspunkt. Hier hatten nämlich die Koalitionspartner Linke, SPD und Grüne die DDR nicht nur als Unrechtsstaat bezeichnet, sondern sich auch die Aufarbeitung des SED-Unrechts auf die Fahnen geschrieben.
Zu dieser Aufarbeitung wollten die zwei Ilmenauer mit einem Offenen Brief an die Vorsitzenden und Abgeordneten der Parteien der Regierungskoalition zum Thema Christenfeindlichkeit beitragen. Darin wiesen sie nicht nur auf das Schicksal einzelner Christen hin, in deren Lebensbiografie der DDR-Staat eingriff, indem er schulische Ausbildung oder berufliche Karriere behinderte. Vor allem mit Blick auf die Links-Partei äußerten die Verfasser Zweifel an der ehrlichen Absicht der Aufarbeitung: „Bisher ist von wenigen Einzelschicksalen abgesehen, kein einziges Wort über die 44 Jahre Christenfeindlichkeit in der SBZ/DDR gesagt worden.“ Zwischen 1945 und 1989 sei eine Demenz der besonderen Art gewachsen, in der die Menschen schließlich dachten und sagten: „Wir haben vergessen, dass wir Gott vergessen haben!“
„Christen keine besondere Opfergruppe“
Für diesen Offenen Brief haben Sammet und Hertel viel Zustimmung erhalten. Es gab viele Gespräche, Telefonate und Briefe, die zeigten, wie aktuell auch ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der DDR das Thema ist und wie groß das Interesse, darüber ins Gespräch zu kommen. Das zeigten auch zahlreiche Leserbriefe, die in den kirchlichen Zeitungen dazu veröffentlicht wurden.
Nicht wenig erstaunt waren die beiden Ilmenauer, als es von der Arbeitsgruppe der Landesregierung zur Aufarbeitung des SED-Unrechts hieß, Christen seien gar keine herausgehobene Opfergruppe. Hier war seitens der Kirchenleitungen deutlicher Protest zu hören und die Landesregierung bemühte sich um Schadensbegrenzung. Inzwischen ist mit Beteiligung der Kirchen eine Arbeitsgruppe installiert, die Einzelschicksale von Christen zu DDR-Zeiten wissenschaftlich aufarbeiten soll. „Wir unterstützen dieses Vorhaben und wünschen ihm gutes Gelingen. Aber das, was wir wollen, reicht über die Frage nach Einzelschicksalen hinaus. Das Thema ist ja nicht historisch abgeschlossen, sondern bis heute aktuell“, sagt Gerhard Sammet.
Er und Pedro Hertel wandten sich nun in einem weiteren Offenen Brief an Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) persönlich. Ramelow macht kein Geheimnis daraus, evangelischer Christ zu sein. Er ist in Thüringen wieder in die Kirche eingetreten. Auf seinem Schreibtisch liegt eine Bibel und er spricht in höchsten Tönen über Papst Franziskus, der ihn zu einer Audienz empfing. Ihn hatten die beiden Ilmenauer zunächst außen vorgelassen, weil er wegen seiner westdeutschen Herkunft unbelastet vom Vorwurf des DDR-Unrechts ist.
Die beiden Briefschreiber würdigen zwar die eingesetzte Historikerkommission, zeigen sich aber enttäuscht, dass in ihrem Anliegen bisher wenig diskutiert worden sei. Mit Blick auf den Spagat von bekennendem Christ und Chef der Thüringer Linkspartei fragen sie auch nach der Glaubwürdigkeit von Bodo Ramelow. Mit 15 Linkspartei-Mitgliedern in Thüringen, darunter auch Landtags-Abgeordnete, haben die Briefeschreiber nach eigenen Angaben gesprochen. Dabei sei Ramelows Kirchenwiedereintritt von den eigenen Genossen mehrmals als „Frage von Strategie und Taktik“ gewertet worden: Der Zweck heiligt die Mittel. Ein Bibelliebhaber kann ja kein schlechter Mensch sein, Christen könnten ihn und die Linkspartei guten Gewissens wählen.
Dann bringen sie ihr Anliegen gegenüber dem Ministerpräsidenten mit einem Bild zur Sprache: 44 Jahre lang habe über der Thüringer Landschaft ein dunkler feuchter Nebel gelegen. Wir wirkt sich das aus? „Nach der Friedlichen Revolution hat sich zwar die Infrastruktur verändert. Straße, Geschäfte und Kommunikationswege sind neu. Der feuchte kalte Nebel ist geblieben und hat einen Namen: Wissenschaftliche Weltanschauung, wissenschaftlicher Atheismus, „Religion ist Opium für das Volk“ oder zumindest überflüssig und dumm. Gott ist im Gesprächsverhalten weitestgehend gestorben. Es ist kälter geworden im Umgang der Menschen untereinander. Darüber müsse öffentlich – in den Medien, in den Parteien, im Landtag diskutiert werden“, fordern Sammet und Hertel und unterbreiten dafür konkrete Vorschläge.
„Aufarbeitung muss öffentlich geschehen!“
Ministerpräsident Ramelow hat inzwischen geantwortet, obwohl er gemeinhin nicht auf Offene Briefe antworte. Genau dieser Nebensatz ist der Grund, weshalb Sammet und Hertel von der Antwort enttäuscht sind. Ramelow verhindere jeden Öffentlichkeitsdialog. „Die Verbrechen an hunderttausenden Christen ... sind in aller Öffentlichkeit geschehen und müssen also auch in aller Öffentlichkeit dargestellt und behandelt werden.“ Ramelows Haltung zu diesen Verbrechen sei von der Angst geprägt, „dass wieder im Bewusstsein der meisten Menschen darüber ein gesundes Nachdenken erfolgt“.
Aktuellster, wenn auch sicher nicht letzter Stand der Dinge: Die Vorsitzende der Thüringer Landtagsfraktion der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, hat die beiden Brief-Schreiber zum Gespräch eingeladen. Pfarrer Sammet befürchtet, dass es ein Sechs-Augen-Gespräch werden soll. „Das kommt für uns nicht in Frage. Wir werden die Einladung nur annehmen, wenn es ein öffentliches Gespräch ist und zumindest Medienvertreter teilnehmen können. Wer für die Wahrheit eintritt, braucht keine Angst vor der Öffentlichkeit zu haben.“
Von Matthias Holluba
Kommentare
Seifert, Dr. (nicht überprüft)
Gräfenroda, 24.08.2017